Interview: Fairer Handel 2.0 im Praxistest

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Fairer Handel Einblicke

Die Umsetzung unserer fokussierten Nachhaltigkeitsstrategie erfolgt schrittweise und Land für Land. Den Start macht Burkina Faso. Linda Dörig, ehemalige Geschäftsführerin von gebana Burkina Faso, ist innerhalb des für die Umsetzung verantwortlichen Development Teams für Burkina Faso zuständig. Sie war im März und April 2019 vor Ort und berichtet uns über den aktuellen Stand, die Reaktionen und die nächsten Schritte.

Linda Dörig

Linda Dörig, innerhalb des Development Teams verantwortlich für Burkina Faso

gebana: Mit welchem Ziel bist du nach Burkina Faso gereist?

Linda Dörig: Mein Ziel war es, dem Management vor Ort die neue Nachhaltigkeits-Strategie vorzustellen, sie einzubeziehen und mit der Umsetzung zu beginnen. Dazu haben wir in Workshops den aktuellen Stand in den verschiedenen Bereichen ermittelt und so festgestellt haben, wo es Nachholbedarf gibt.

Wie lief die Bestandesaufnahme ab?

Zur Ermittlung des derzeitigen Stands haben wir Fragen definiert, insgesamt über 60 Stück. Diese zu erheben ist allerdings nicht neu, für den Nachhaltigkeitsbericht von gebana machen wir das schon seit Jahren. Doch die Abgrenzung muss an mancher Stelle noch genauer definiert werden. Wenn die Kennzahl zum Beispiel lautet: «Anzahl Bauern, mit denen wir arbeiten», müssen wir festlegen, wen wir dazu zählen: Alle Bauern, von denen wir kaufen oder diejenigen, die auf unserem eigenen Bio-Zertifikat eingetragen sind? (Anm. d. Redaktion: wir schulen meist mehr Bauern, als uns schlussendlich beliefern; manche Kooperativen haben ein eigenes Biozertifikat)

Wo habt ihr Handlungsbedarf ausgemacht?

Eines der beiden Hauptthemen sind die Arbeitsverträge und Lohn: Wir haben – wie alle Firmen hier – nur sehr wenige unbefristete Arbeitsverhältnisse. Wenn wir nun zunehmend ganzjährig produzieren, dann sind die Saisonarbeitskräfte quasi das ganze Jahr da, haben aber den Nachteil eines saisonalen Arbeitsvertrages, erhalten also zum Beispiel keinen Kredit bei der Bank. Doch was passiert, wenn man diese Verträge nun alle in Jahresverträge umwandelt und es nach einer schlechten Ernte nach sieben Monaten keine Arbeit mehr gibt? Natürlich war auch der Lohn ein Thema. Ziel sind existenzsichernde Löhne. Doch auch nach massiven Verbesserungen sind wir hier noch nicht am Ziel.

Ein weiteres Fokusthema wird die Agronomie sein: Wir wollen innovativere Schulungen, einen ganzheitlichen Ansatz und neue Technologien, sowie Anbautechniken einführen. Damit soll die Bio-Landwirtschaft bessere Qualität und Erträge einbringen und so zusätzlich an Attraktivität gewinnen. Konkret geht es um Fragen wie: Was ist der beste Bio-Dünger? Welche Bodenanalysen sind sinnvoll? Hier schauen wir zunächst, welches Know-how intern schon vorhanden ist und wo wir mit Experten zusammenarbeiten sollten.

Wie hat das Management vor Ort auf diese Neuerungen reagiert?

Die Reaktionen bezogen sich bei beiden Projekten auf die Kosten. Wer zahlt für mehr und bessere Bauernschulungen? Immerhin ist gebana Burkina Faso ein Unternehmen, das erst kürzlich eine finanzielle Krise überwunden hat.

Es war mir wichtig aufzuzeigen, dass unsere neue Nachhaltigkeitsstrategie eigentlich eine intensivere Weiterentwicklung unserer bisherigen Arbeit ist.

Eine grosse Neuerung ist das Verteilen der 10% vom Umsatz an die Bauernfamilien. Wie waren die Reaktionen darauf?

Sehr positiv, denn für die Bauernfamilien ist dadurch eine wirkliche Verbesserung zu erwarten. Allerdings gab es auch viele Fragen, vor allem was die Umsetzung betrifft. Denn es stellt sich die Frage, wer diesen Aufschlag genau bekommt: Alle Bauernfamilien auf unserem Bio-Zertifikat oder nur die, die an uns geliefert haben? Das WIE ist die nächste Frage. Wir diskutieren die Bezahlung über das Mobiltelefon, wie wir es in Togo mit der Bio-Prämie machen. Allerdings sind wir in Burkina Faso technisch noch nicht so weit. Das Geld persönlich zu verteilen ist aber auch zu unsicher, da unsere Mitarbeitenden mit dem vielen Geld in den Taschen einer erhöhten Gefahr von Überfällen ausgesetzt wären. Vielleicht ist ein Anlass nach der Ernte die Lösung. Zu Bedenken ist auch der Zeitpunkt, denn im September müssen das Schulgeld und die Arbeitshelfer zum Zurückschneiden der Bäume bezahlt werden.

Wie gross wird der Unterschied für die Bauernfamilien tatsächlich sein?

Es wird auf jeden Fall einen spürbaren Unterschied geben! Ein Beispiel: Im Jahr 2018 setzte der Direktversand von gebana rund 25 Tonnen Cashews und 14 Tonnen Mangos ab. Eine Umsatzbeteiligung von 10% beträgt damit insgesamt ca. 75’000’000 CFA, das entspricht ca. 129'000 Franken. Wenn wir dies an alle 2'700 Bauernfamilien auf dem Biozertifikat verteilen – zu gleichen Teilen, unabhängig davon, wie viel sie geliefert haben – bekäme jede etwa 27'800 CFA. Der nationale Mindestlohn für Angestellte liegt bei 33'000 CFA. Jede Bauernfamilie würde sozusagen einmalig fast einen Angestellten-Monatslohn zusätzlich bekommen. Oder anders gerechnet: Wenn die Prämie nur an die Bauernfamilien gehen würde, die an den Direktversand geliefert haben – das sind etwa 10% – dann würden diese bei den heutigen Rohnusspreisen etwa das Doppelte für ihre Nüsse bekommen.

Was könnten positive oder negative «Begleiterscheinungen» sein? Wir denken da an Korruption oder auch erhöhte Motivation mit uns zu arbeiten...

Als Begleiterscheinung erhoffen wir uns, dass die jungen Menschen sehen, dass es sich durchaus lohnen kann, Landwirtschaft zu betreiben. Hoffentlich wird auch mehr in einen effizienteren und noch nachhaltigeren Bio-Anbau investiert. Ebenfalls wird sich die Loyalität der Bauernfamilien der gebana gegenüber erhöhen.

Neben all den positiven Effekten besteht aber natürlich auch die Gefahr von mehr Korruption, Misswirtschaft und Neid. Deswegen ist die direkte Auszahlung an die Bauernfamilien so wichtig und auch, dass alle gleichermassen profitieren – also auch die Bauernfamilien, deren Produkte an den Grosshandel verkauft werden und nicht nur die, die an den gebana Direktversand liefern.

Was ist besonders bei der Umsetzung in Burkina Faso?

Bei gebana Burkina Faso haben wir gegenüber anderen Tochterunternehmen verhältnismässig viele Mitarbeitende und kaufen von vielen Bauernfamilien. Für die Mitarbeitenden wurden trotz der grossen Verluste in den letzten Jahren kleine, aber kontinuierliche Verbesserungen – zum Beispiel bei Arbeitsverträgen, Lohn, Kinderkrippe und Krankenstation – gemacht, welche auch wahrgenommen werden. Es gibt aber immer noch viel zu tun. Mit den Bauernfamilien haben wir insbesondere im letzten Jahr eine sehr intensive Zusammenarbeit aufgebaut. Auf dieser Basis können wir nun aufbauen.

Darum ist die fokussierte Nachhaltigkeitsstrategie für mich nichts völlig Neues – ausser den revolutionären 10%! Es ist mehr so, als wenn man eine neue Brille aufsetzt: Plötzlich sieht man klarer wo es noch Sachen zu tun gibt. Man sieht sie aus einer neuen Perspektive und achtet noch mehr auf die Aspekte, die der gebana wichtig sind. Daraus folgen ein Plan und die Messung, damit wir die Wirkung nachverfolgen und auch kommunizieren können.

Was bedeutet das für deine Arbeit?

Ich denke wir sollten realitätsnah und pragmatisch bleiben. Theoretische Konzepte müssen an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Denn jeder Ort ist anders – oft hoch komplex – und es gibt viele verschiedene Arten dasselbe zu tun. Um langfristig Erfolg zu haben, gilt es, stetig und mit viel Hartnäckigkeit kleine Schritte zu gehen, anstatt auf die Schnelle etwas zurechtbiegen, damit es nach aussen hin gut aussieht.

Gerade die klare Strategie gibt mir die Möglichkeit, unser Handeln immer wieder zu hinterfragen und weiter zu treiben. Wir sollten nie stehen bleiben. Ganz im Sinn von Ursula Brunner, die sagte, der faire Handel sei ein Prozess, kein Zustand.

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