Leben in Ungewissheit

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Strassen von Bobo-Dioulasso

Die Strassen von Bobo-Dioulasso.

Über eine halbe Million Flüchtlinge, zwei Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Attacken und Anschläge, Verletzte und Tote, ein Drittel des Landes sind nicht unter staatlicher Kontrolle. Das Leben in Burkina Faso ist gefährlicher geworden. Wir bleiben trotzdem dort.

Burkina Faso bedeutet Land der ehrenwerten Menschen. Ein Name, den der einstige Revolutionsführer Thomas Sankara im Jahr 1984 wählte. Vorher hiess das Land Haute-Volta, getauft von den französischen Kolonialherren. Sankara brach mit der kolonialen Vergangenheit und wollte seine Nation in eine strahlende Zukunft führen. Für diesen Aufbruch wird er bis heute verehrt.

Leider leben die Burkinabè weiterhin in einem der ärmsten Länder der Welt. Ein Blick in die Schlagzeilen der letzten Monate und Jahre offenbart: Es wird auch immer gefährlicher.

Seit Anfang 2015 starben in Burkina Faso gemäss Schätzungen der französischen Presseagentur AFP mindestens 700 Menschen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen und Anschlägen. Die UNO geht von bis zu 560'000 Binnenflüchtlingen aus. Also Menschen, die innerhalb des Landes flohen. Vor Gewalt und Terror, mangels Perspektiven und Einkommensmöglichkeiten.

Schulen und Spitäler bleiben geschlossen

Mehr als 100 Gesundheitszentren sind stillgelegt, erhalten keine medizinische Hilfe mehr oder wurden angegriffen. Über 300'000 Kinder können nicht zur Schule gehen, weil mehr als 2000 Schulen geschlossen sind. 2,2 Millionen Menschen sind gemäss dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Seit 18. November 2019 rät das französische Aussenministerium offiziell von Reisen nach und in Burkina Faso gänzlich ab. Das Schweizer Departement für auswärtige Angelegenheiten hat unlängst die gleiche Warnung ausgegeben.

Das französische Ministerium veröffentlichte zu seiner Reisewarnung eine neue Karte, die das Land in verschiedene Zonen nach dem Grad der Gefährlichkeit einteilt. Früher hatte die Karte drei Zonen, jetzt gibt es nur noch zwei: «Nicht zum Reisen empfohlen» und «Nicht zum Reisen empfohlen, es sei denn, es liegt ein zwingender Grund vor».

Die Karte vermittelt allerdings ein falsches Bild, wie Ousseni Porgo sagt. Ousseni ist Burkinabè und leitet bei gebana Burkina Faso die Abteilung Agronomie und Einkauf. «Wenn man der Karte Glauben schenkt, steht das ganze Land in Flammen», sagt er. Das stimme einfach nicht. «Wir leben hier, wir arbeiten, jeden Tag starten und landen Flugzeuge. Wir haben einen funktionierenden Alltag.»

Die vielen Toten und Flüchtlinge seien dennoch Tatsachen, über die man sprechen müsse, sagt Ousseni Porgo. Vor allem im Nordosten des Landes sei es tatsächlich sehr gefährlich. Und auch wenn es im Westen weniger schlimm ist: Wenn Ousseni von Bobo-Dioulasso zu den Bauernfamilien im Westen aufbricht, ruft er dort vorher an und fragt, wie die Lage ist, ob die Strassen sicher sind.

Terroristen finanzieren sich mit Gold

Die Hintergründe für die aktuelle Situation in Burkina Faso sind vielschichtig. Dschihadismus und alte Machtstrukturen des Compaoré-Regimes spielen eine Rolle. Doch auch die Instrumentalisierung der vielen verschiedenen Ethnien im Land und Vorurteile über Minderheiten sind zunehmend Teil des Problems, wie Linda Dörig sagt.

Linda ist Teil von gebanas Development-Team und immer wieder selbst in Burkina Faso vor Ort, lebte dort mehrere Jahre. Sie tauscht sich regelmässig mit Burkinabè aus, hat langjährige Freunde im Land.

Der Bruder einer Freundin von Linda ist eine Art Förster. Er soll die Wälder im Osten des Landes schützen. Seit August sitzt er zu Hause. Er habe keine Ausrüstung, um sich zu verteidigen und in den Wäldern würden sich Terroristen verstecken, sagte er Linda, als sie im Oktober 2019 in Burkina Faso war. Seit Anfang Jahr ist er wieder vor Ort im Osten. Wirklich arbeiten kann er aber immer noch nicht. Seine Frau und Tochter hat er in Bobo-Dioulasso gelassen, um sie keinen Gefahren auszusetzen.

Der Osten des Landes ist auch deshalb so gefährlich, weil es dort eine lukrative Einnahmequelle für Terroristen gibt: Gold. Seit man im Jahr 2012 eine neue Goldader entdeckte, ist die gesamte Sahelzone in einem regelrechten Goldrausch. Das gilt insbesondere für Burkina Faso, wo die kanadische Bergbaufirma SEMAFO zwischen 2017 und 2018 in Boungou eine neue Mine einrichtete.

Beim Anschlag auf Busse, die Minenarbeiter zu jener Mine bringen sollten, starben im November 2019 mindestens 39 Menschen, 60 weitere wurden verletzt. Wer hinter dem Anschlag steckt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Gemäss einem Bericht der International Crisis Group bringen bewaffnete Gruppierungen bereits seit 2016 immer wieder gezielt Goldminen in der Sahara unter ihre Kontrolle. Unter diesen Gruppen seien zum Teil auch Islamisten. Mit dem Gold finanzieren sie sich, ihre Waffen und die Rekrutierung ihrer Gefolgsleute.

Falschinformationen und Vorurteile verschärfen die Situation

Für Linda spielen Vorurteile und Falschinformationen, gestreut über Social Media und im direkten Austausch eine grosse Rolle. Sie führen zu Spannungen und Verleumdung von Ethnien wie etwa den Peul. Wann immer etwas passiert, das nicht rechtens ist, oder jemand verdächtig aussieht, dann waren es die Peul. Die Peul sind schuld. Die Peul sind gefährlich.

Tatsächlich sind die Peul Menschen, die nur etwa 5 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen und als viehzüchtende Nomaden durchs Land ziehen. Natürlich birgt ihre Lebensweise durchaus Konfliktpotenzial. Auch befinden sie sich unter ausländischen Angreifern, da es auch in den Nachbarländern Peul gibt. Gemäss eines Bekannten von Linda sind die Peul starke und mutige Menschen. Sie sind es gewohnt, sich allein in der Wildnis durchzuschlagen. Häufig leben sie unter prekären Bedingungen. Das macht es für kriminelle Anführer einfacher sie zu rekrutieren. Sie deshalb pauschal als Terroristen oder Verbrecher zu bezeichnen, ist jedoch falsch.

Egal, wer woran schuld ist: In den Dörfern auf dem Land beginnen junge Männer, sich zu bewaffnen. Sie gründen Milizen, um ihre Dörfer zu verteidigen und erhalten Zuspruch in ihren Gemeinden.

Doch in der angespannten Atmosphäre ist die Gefahr gross, dass solche Dorfmilizen nur allzu schnell in Konflikte untereinander geraten, sagt Linda. Wenn es dann noch ethnische Unterschiede zwischen den Dörfern gibt, kann ein Teufelskreis angestossen werden. In einem Land mit je nach Zählweise 30 bis 60 verschiedenen Ethnien keine Seltenheit.

Investitionen könnten helfen

Investitionen in Ausbildung und Arbeitsplätze könnten die Situation entschärfen, denn Armut treibt die Menschen in die Arme von kriminellen Gruppen. Doch Entwicklungsorganisationen und Firmen machen bereits Rückzieher. Versprochene Gelder fliessen nicht, Geschäftsreisen werden gestrichen. Zu gefährlich sei es im Land.

Der Staat selbst, kann die Investionen nicht stemmen. Das sagt auch Lindas Taxifahrer Pascal in Ouagadougou: «Wir leben in einem armen Land. Wir brauchen ausländische Investoren, um die Entwicklung voranzubringen. Diese Terroristen werfen uns in der Entwicklung zurück, da die Investoren fernbleiben. Ende letzten Jahres hätte ich während 3 Monaten für ausländische Geschäftsleute arbeiten sollen – doch sie kamen nicht. Zu gefährlich sei es, um hier zu arbeiten. Und so verlieren wir Einkommen, das dringend nötig wäre», sagt er.

«All die Menschen, die ihre Dörfer verlassen – alles lassen sie zurück und kommen mit leeren Händen Richtung Hauptstadt. Manche kommen bei der Familie unter, aber meistens gibt es dort auch nicht viel. In den Strassen von Ouagadougou sehe ich schon jetzt viel mehr Bettler und arme Menschen am Strassenrand stehen. Nur haben wir selbst auch nichts, um ihnen zu helfen.»

gebana investiert

Wir sind in Burkina Faso, wir bleiben und wir investieren. Zum Beispiel planen wir derzeit eine Fabrik für 2000 Mitarbeitende, die in einem Gebiet leben, in das man aus Sicherheitsgründen nicht mehr reisen sollte.

Doch auch wir müssen Vorkehrungen treffen, um uns und unsere Mitarbeitenden zu schützen. Unsere Agro-Berater, die zu den Bauernfamilien reisen, sie ausbilden, beraten und bezahlen, tragen zum Beispiel keine Kleidung, die sie als Mitarbeitende von gebana ausweisen würde. Gleiches gilt für ihre Fahrzeuge.

Ein weit grösseres Problem liegt in der Bezahlung der Bauernfamilien. Von etlichen Familien bekommen wir Cashews und Mangos nur gegen Bargeld. Wer mit viel Bargeld durch das Land reist, lebt sehr gefährlich.

Die gute Nachricht ist: Wir können immer mehr Bauernfamilien via Mobiltelefon bezahlen. Der Geldtransfer via Handy ist in afrikanischen Staaten schon seit Jahren etablierter als in westlichen Nationen. Der Grund: Für diese Art der Bezahlung braucht man kein Bankkonto. Überweisungen sind innerhalb von Minuten oder wenigen Stunden abgeschlossen.

Doch einige Dörfer sind so abgelegen, dass es dort gar kein Mobilfunknetz gibt. Oder der nächste Auszahlkiosk, bei dem sie das Geld vom Handy in Bargeld umtauschen können, ist 20, 30 oder mehr Kilometer entfernt. Wir arbeiten trotzdem weiterhin mit Familien aus solchen Dörfern zusammen.

Und vielleicht beruhigt sich das Land ja bald wieder. Ousseni Porgo ist zumindest optimistisch. Er sagt, die Situation verbessere sich langsam. Die Bevölkerung stelle sich gegen die Terroristen, statt auf ihre Versprechen von Geld und Wohlstand hereinzufallen und das Militär verstehe es immer besser, gegen die Aggressoren vorzugehen.

Wir bleiben dran.

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